Brauchen wir noch klassisches Schach?
Das klassische Format unseres geliebten Spiels gerät unter Beschuss.
Viele Leute beschweren sich über die langweiligen Remis bei Super-GM-Turnieren und kommen mit allen möglichen Verbesserungsvorschlägen daher. Sie wollen wie im Fußball eine 3-Punkte-Regel einführen und die Bedenkzeit sowie das traditionelle Turnierformat ändern.
Erst kürzlich wird beim Norway Chess in Stavanger ein neuer Versuch unternommen, um das Turnier aufregender zu gestalten. Milde ausgedrückt, hat das neue Format nicht wirklich überzeugt.
Nach wie vor gab es viele Remispartien und einige davon waren wahre "Perlen" der Schachgeschichte. Seht Euch nur diese Partie an:
Können wir den Spielern einen Vorwurf machen, dass sie sich, ohne einen einzigen neuen Zug zu spielen, auf ein Remis geeinigt haben? Sie haben einfach ausgenutzt, dass sie nicht vier Stunden lang spielen müssen, sondern das Duell in einem Bruchteil der Zeit entscheiden konnten. Einige Leute nennen das Effizienz, andere Zynismus.
Alexander Grischuk gegen Wesley So. | Foto: Lennart Ootes/Altibox Norway Chess.
Ich habe meine Meinung zu diesem Thema schon oft geäußert. Ich lache über die Leute, die behaupten, das klassisches Schach den "Remistod" sterben wird. Irgendwie haben die Gegner von Magnus Carlsen in den letzten Super-Turnieren das Memo wohl nicht bekommen und konnten dem Weltmeister nur deshalb kein Unentschieden abringen.
Vergleichen wir also langweiliges Schach mit aufregendem Schach.
Das vor kurzem gespielte Duell bei der Speed Chess Championship zwischen Benjamin Gledura und Awonder Liang war in der Tat sehr interessant. Im Blitzschach sind Fehler unvermeidbar und ein Teil der Unterhaltung. Als ich das Endspiel der folgenden Partie sah, konnte ich allerdings schon einige Leute fragen hören: "Sind das wirklich Großmeister?"
Genau aus diesem Grund war Blitzschach an der berühmten Botwinnik-Kasparow-Schule strengstens verboten. Der Patriarch glaubte, dass Blitz deinem Schach schaden würde. Ich habe ihn sogar gefragt, ob er selbst schon jemals geblitzt hat. Botvinnik war von einer so dummen Frage offensichtlich überrascht und hielt einen Moment inne. Es war ja auch wirklich eine dumme Frage, denn welcher Schachspieler hat wohl noch nie in seinem Leben eine Blitzpartie gespielt?
"Natürlich habe ich Blitz gespielt", antwortete er schließlich. "Einmal. In einem Zug."
Die oben gezeigte Blitzpartie wird Benjamin Gledura, der ein ziemlich gutrn Schachspieler ist, nicht gerecht. Hier schlug er mit nur 16 Jahren die lebende Legende Vishy Anand:
Anands Fehler in dieser unglaublich guten Partie gegen Gledura aufzuzeigen, ist gar nicht so einfach. Da ich in diesem Artikel bereits Botvinnik erwähnt habe, kann er uns vielleicht helfen. Hier sind seine Anmerkungen zu den kritischen Stellungen in seiner Partie gegen GM Kholmov:
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Schwarz ließ sich auf ein Bauernenspiel ein, das noch schlechter ist, als das Springerendspiel aus Botvinniks Partie. Und genau wie es Botvinnik vorhergesagt hatte, verliert Schwarz wegen Zugzwang!
Jetzt sehen wir uns Benjamin Gleduras Züge bei den verschiedenen Bedenkzeiten an. Auf der einen Seite haben wir eine Blitzpartie mit vielen Aufregern und natürlich auch Fehlern. Auf der anderen Seite eine klassische Partie mit ein hervorragend gespielten und sogar lehrreichen Endspiel.
Viele Leute werden dieses Endspiel aber trotzdem langweilig finden. Brauchen wir also noch klassisches Schach, oder nicht?